Neues Insolvenzrecht: Haftung für Geschäftsführer bei Insolvenz ab 2021 | StaRUG-Blog | GÖRG Blog

Neues Insolvenzrecht: Haftung für Geschäftsführer bei Insolvenz ab 2021

Der Gesetzgeber hat die Haftung von Geschäftsführern und anderen Geschäftsleitern ab Insolvenzreife reformiert. Die neuen Regelungen sind gleichzeitig mit dem StaRUG am 01.01.2021 in Kraft getreten.

neues_insolvenzrecht-_haftung_fur_geschaftsfuhrer_bei_insolvenz_ab_2021.jpg Quelle: Mari Helin on unsplash.com

1. Wann ist ab 2021 Insolvenzantrag zu stellen?

Mit dem zum Jahreswechsel eingeführten Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) wird die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages nach § 15a InsO neu gefasst. Seit dem 01.01.2021 ist der Antrag innerhalb dieser Zeiträume zu stellen:

Zahlungsunfähigkeit

Spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit
ÜberschuldungSpätestens sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung

Von dieser Antragspflicht ausgenommen sind Vereine und Stiftungen, für die Sonderregelungen gelten.

Die Verletzung dieser Pflicht ist wie bisher strafbar. Der Straftatbestand ist erfüllt bei

  • Missachtung der Antragspflicht,
  • nicht richtiger Antragstellung sowie
  • nicht rechtzeitiger Antragstellung.

Außerdem ziehen solche Verstöße eine zivilrechtliche Haftung für die antragspflichtigen Organe der insolvenzreifen Gesellschaft nach sich.

Wichtig ist, dass die genannten Fristen nur ausgeschöpft werden dürfen, solange begründete Aussichten bestehen,

  1. die Gesellschaft innerhalb der Frist zu sanieren und
  2. den Insolvenzgrund zu beseitigen.

Materiell ändert der Gesetzgeber den Prognosezeitraum, der bei der Prüfung einer Überschuldung i.S.v. § 19 InsO zu Grunde zu legen ist und legt diesen auf zwölf Monate fest. Bislang war das laufende und fortfolgende Geschäftsjahr zu betrachten.

2. Sonderregelung für Insolvenzantrag während Corona-Pandemie

Der Gesetzgeber hat mit dem SanInsFoG zugleich eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung beschlossen. Hintergrund ist, dass es bei der Auszahlung der angesichts des zweiten Lockdowns beschlossenen November- und Dezemberhilfen vielfach wegen rechtlicher (Beihilfen) oder tatsächlicher Probleme (fehlende IT-Infrastruktur) zu Verzögerungen kommt.

Nachdem die Aussetzung zunächst nur vom 01.01.2021 bis zum 31.01.2021 galt, ist die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht noch einmal mit Wirkung ab dem 01.02.2021 bis zum 30.04.2021 verlängert worden. Sie ist allerdings daran geknüpft, dass das betroffene Unternehmen

  • im Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 28.02.2021 einen Antrag auf staatliche Hilfeleistungen gestellt hat oder
  • zumindest in den Kreis der Antragsberechtigten fällt, wenn dies aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich war.

Unternehmen, die offensichtlich keine Aussicht auf die Hilfeleistungen haben oder bei denen diese nicht zur Beseitigung der Insolvenzreife ausreicht, können die verlängerte Ausnahmeregelung nicht in Anspruch nehmen. Wie bisher auch gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zudem nur, wenn die Krise des Unternehmens pandemiebedingt ist.

Hier muss genau geprüft werden, da erhebliche Haftungsrisiken bestehen. Wenn ein Unternehmen einen Insolvenzantrag nicht stellt, obwohl die zuvor genannten Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vorliegen, handelt die Geschäftsleitung pflichtwidrig, was sowohl eine persönliche Haftung als auch eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung begründen kann.

Praxishinweis von Herrn Rechtsanwalt Dr. Robert Brahmstaedt, LL.M. (University of Sydney):

Vielfach wird übersehen, dass es aktuell keine pauschale Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gibt. Wichtig ist, dass sowohl die Zahlungsunfähigkeit als auch die Überschuldung dem Grunde nach wieder „scharf geschaltet“ sind und die Aussetzung der Antragspflicht nur unter den benannten besonderen Voraussetzungen gilt. Die verlängerte Aussetzung der Antragspflicht soll nur den Schuldnern zugutekommen, die einen Anspruch auf finanzielle Hilfen haben und deren Auszahlung noch nicht erfolgt ist. Trittbrettfahrer sollen sich gerade nicht auf die Aussetzung der Antragspflicht berufen können.

Wenn das Unternehmen so stark von der Pandemie betroffen ist, dass es bestimmte Kriterien erfüllt (u.a. einen Umsatzeinbruch von mehr als 30 %), ist bei der Überschuldungsprüfung sogar nur ein Zeitraum von vier Monaten für die Zahlungsfähigkeitsprognose zu betrachten.

Praxishinweis von Dr. Robert Brahmstaedt, LL.M. (University of Sydney):

Dies ist eine deutliche Erleichterung für Unternehmen, die pandemiebedingt erstmals ein negatives Eigenkapital ausweisen müssen und jetzt ihre Fortführungsfähigkeit in einem schwierigen Marktumfeld mit erheblichen Planungsunsicherheiten prüfen und dokumentieren müssen. Entscheidend ist, dass die Geschäftsleitungen jetzt auch aktiv werden. Sie müssen sich kritisch mit ihrer Situation auseinandersetzen und die erforderlichen betriebswirtschaftlichen und insolvenzrechtlichen Tools bereithalten, um sicher durch die Krise zu steuern.

3. Vorstands- und Geschäftsführerhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife

Zudem hat der Gesetzgeber die Haftung von Geschäftsleitern für Zahlungen, die diese nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung leisten, neu geordnet.

Neben der systematischen Neueinordnung der bisherigen Haftungsnormen in einem neu geschaffenen § 15b InsO greift der Gesetzgeber auch in das bislang geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis der Haftungstatbestände ein.

Was bleibt gleich?

Es bleibt bei dem Grundsatz, dass Zahlungen - und der Begriff ist weiterhin sehr weit zu verstehen - nach dem Eintritt der Insolvenzreife unzulässig sind, solange sie nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Wie wird die Haftung erleichtert?

Je nach Stadium, in dem sich der Schuldner befindet, greifen neue Erleichterungen.

So gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als sorgfaltsgemäß. Dazu zählen insbesondere solche, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen. Voraussetzung ist dabei, dass der Schuldner

  • sich noch innerhalb des für eine rechtzeitige Antragstellung maßgeblichen Zeitraums bewegt und
  • pflichtgemäß Maßnahmen vorantreibt, um die Insolvenzreife nachhaltig zu beseitigen oder einen Insolvenzantrag vorzubereiten.

Nach erfolgter Antragstellung sind Zahlungen privilegiert, die mit der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden. Dessen Bestellung ist in laufenden Geschäftsbetrieben daher schnellstmöglich zu organisieren.

Wo wird die Haftung verschärft?

Eine Insolvenzverschleppung will der Gesetzgeber dagegen nicht privilegieren. Hat der Schuldner den richtigen Zeitpunkt für den Insolvenzantrag verpasst, ohne einen Antrag zu stellen, gilt eine gesetzliche Vermutung, dass Zahlungen nach Ablauf der Fristen des § 15a InsO nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar und damit unzulässig sind.

Diese Vermutung soll nur „unter Ausnahmebedingungen“ (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/24181, S. 195) entkräftet werden können. Denkbar sind hier in engen Grenzen Situationen der Notgeschäftsführung zur Abwehr eines der späteren Insolvenzmasse unmittelbar drohenden Schadens.

Beispiele:

  • Die Zahlung von Fernwärmelieferungen, um die Beheizung des Geschäfts zu Vermeidung eines Wasserschadens aufrecht zu erhalten.
  • Die Zahlung der Brandschutzversicherung, wenn das Gebäude einen Wert für die Masse hat.

Da Sanierungschancen innerhalb der verlängerten Antragsfristen zu nutzen sind, genügt hingegen eine „allgemeine Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs für Zwecke des Insolvenzverfahrens“ nicht.

Die primäre Pflicht der Geschäftsleitung ist in dieser Phase auf die Stellung eines Insolvenzantrags gerichtet. Hierdurch könne der Geschäftsleiter auch den selbstverschuldeten Pflichtenkollisionen entgehen, die sich im Spannungsfeld des Zahlungsverbots nach § 15b Abs. 1 S. 1 InsO und den strafbewehrten Pflichten zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB) respektive der buß- und haftungsbewehrten Pflicht zur Zahlung von Steuern ergeben kann.

Praxishinweis von Herrn Rechtsanwalt Dr. Robert Brahmstaedt, LL.M. (University of Sydney):

Neu ist in diesem Zusammenhang die ausdrückliche gesetzliche Anordnung (§ 15b Abs. 8 InsO), dass die steuerrechtlichen Zahlungspflichten entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nicht verletzt werden, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach dem Eintritt der Insolvenzreife und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Antrag nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden. Die Pflicht der Geschäftsleitung zur Massesicherung geht also vor. Bei einer durch eine verspätete Antragsstellung verursachten Masseunzulänglichkeit gilt die Schutzvorschrift zu Gunsten der Geschäftsleitung jedoch nicht.

4. Zusammenfassung

  • Der Gesetzgeber verlängert die Frist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung künftig auf maximal sechs Wochen.
  • Der Prognosezeitraum für die Beurteilung einer insolvenzrechtlich relevanten Überschuldung wird modifiziert und grundsätzlich auf 12 Monate angepasst Ist die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen, gilt sogar ein Prognosezeitraum von nur 4 Monaten. Vorläufig gibt es für Insolvenzanträge Sonderregelungen im Zuge der Corona-Pandemie, deren Voraussetzungen im Einzelfall jedoch genau zu prüfen sind.
  • Der neue § 15b InsO behält die geltenden Zahlungsverbote und die bei Verstößen folgende Ersatzpflicht der Geschäftsleitungen im Kern bei. Neu ist die deutliche Haftungsprivilegierung von Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen und zwar bis zu dem für eine rechtzeitige Insolvenzantragsstellung maßgeblichen Zeitpunkt. Sobald die „Uhr läuft“ ist dabei wichtig, dass alle Sanierungsoptionen geprüft und vorangetrieben werden müssen. Außerdem sollte parallel ein Insolvenzantrag vorbereitet werden, um die Haftungserleichterung sicher in Anspruch nehmen zu können.
  • Nach „Ablauf der Uhr“, also im Fall der eingetretenen Insolvenzverschleppung, kommt es dagegen zukünftig zu einer Haftungsverschärfung durch die Vermutungswirkung von § 15b Abs. 3 InsO. Ab diesem Zeitpunkt sind Zahlungen nur noch unter Ausnahmebedingungen als sorgfaltsgemäß zugelassen, sofern die Zahlungen für die spätere Masse überhaupt einen Wert haben. Hier werden nur eindeutige, echte Notgeschäftsführungsmaßnahmen als Ausnahmen anzuerkennen sein können.

Praxishinweis von Herrn Rechtsanwalt Dr. Robert Brahmstaedt, LL.M. (University of Sydney):

Die neuen Regelungen zeigen: Für Unternehmen und ihre Geschäftsleitungen ist es in diesem dynamischen Umfeld wichtiger denn je, zu ermitteln, wo sie mit Blick auf eine mögliche Insolvenzreife stehen. Dies gilt nicht nur wegen der bekannten Haftungsgefahren bei zu später Stellung eines Insolvenzantrags oder weil der Gesetzgeber von den Geschäftsleitern aktive Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement verlangt (§ 1 StaRUG), sondern auch mit Blick auf die Möglichkeit die neuen Sanierungsinstrumente des StaRUG in Anspruch nehmen zu können, um eine Krise zu bewältigen.

Dr. Robert Brahmstaedt berät national und international tätige Unternehmen und Banken in sämtlichen Fragen des Insolvenz- und Gesellschaftsrechts. Er verfügt über beträchtliche Erfahrung bei der Beratung von Unternehmen in Krisensituationen, bei Unternehmenskäufen (aus der Insolvenz) sowie der Restrukturierung von Finanzierungen. Einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt von Dr. Brahmstaedt bilden Sanierungs- und Sicherheitentreuhandschaften. Sein Branchenfokus liegt dabei im Bereich der Erneuerbaren Energien sowie der Schifffahrts- und Reedereiwirtschaft.

Kontakt aufnehmen

  • xing
  • linkedin
  • twitter
Kategorien

, ,