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Insolvenzrecht 2022: Lockerungen im Zuge der Energiekrise

Aufgrund der aktuellen Energiekrise hat der Gesetzgeber für Ende 2022 einige Neuerungen im Insolvenzrecht verabschiedet. Sie entschärfen insbesondere die Voraussetzungen der Überschuldung, um Insolvenzen zu vermeiden.

Titel des Gesetzes: Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen (Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz – SanInsKG).

insolvenzrecht_2022_energiekrise.jpg Quelle: Fré Sonneveld on unsplash.com

I. Insolvenzantragspflicht 2022 erleichtert

Die weitreichendste Neuregelung des Gesetzes ist eine temporäre Anpassung der Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach § 19 InsO.

1. Überschuldung entschärft: Kürzerer Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose

Eine juristische Person (z.B. GmbH & AG) ist wegen Überschuldung insolvenzantragspflichtig

„wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO).

Damit wird unabhängig vom Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung die insolvenzrechtliche Überschuldung durch eine positive Fortbestehensprognose ausgeschlossen: Ist das Fortbestehen des Unternehmens den Umständen nach überwiegend wahrscheinlich, scheidet die Überschuldung als Insolvenzgrund aus, ohne dass es noch einer bilanziellen Prüfung bedarf.

Eine Fortbestehensprognose im Sinne des Eröffnungsgrunds der Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO kann angenommen werden, wenn die Gesellschaft im (rollierenden) Prognosezeitraum von zwölf Monaten über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um den fällig werdenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit nachzukommen (sog. Durchfinanzierung).

Nunmehr wird der Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose von zwölf auf vier Monate verkürzt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG). Mithin ist eine Durchfinanzierung für vier Monate ausreichend.

Auch Unternehmen, bei denen bereits vor dem 9. November 2022 eine Überschuldung vorlag, können sich auf den verkürzten viermonatigen Prognosezeitraum berufen.

2. Wichtig: Antragshöchstfrist darf noch nicht verstrichen sein

Die Neuregelung setzt jedoch voraus, dass der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO noch nicht verstrichen ist. Unternehmen, die somit vor Inkrafttreten des SanInsKG bereits überschuldet waren, müssen prüfen, ob die Höchstfrist von maximal sechs Wochen zwischen Eintritt der Überschuldung und Inkrafttreten des SanInsKG nicht bereits abgelaufen ist.

Sollte die Höchstfrist zur Insolvenzantragstellung bereits verstrichen sein, greifen für diese Unternehmen die Regelungen des SanInsKG, also insbesondere der verkürzte Prognosezeitraum und die verlängerte Antragshöchstfrist (hierzu sogleich) nicht und die Insolvenzantragspflicht besteht fort.

Eine zuvor bestandene Insolvenzantragspflicht kann unter diesen Voraussetzungen aber entfallen:

  • Die Höchstfrist ist vor Inkrafttreten noch nicht verstrichen.
  • Das Unternehmen ist nicht zahlungsunfähig.
  • Das Fortbestehen des Unternehmens ist jedenfalls (rollierend!) für die nächsten vier Monate überwiegend wahrscheinlich

Dabei ist stets zu beachten, dass die Höchstfrist i.S.v. § 15a Abs. 1 S. 2 InsO nicht in jedem Fall ausgereizt werden darf (siehe hierzu auch unter I.2.).

Bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren befindliche Unternehmen sollen gar bei einer isolierten Überschuldung, die durch den kürzeren Prognosezeitraum der neuen Regelung entfallen würde, einen selbst gestellten Insolvenzantrag zurücknehmen können. Ob dies aufgrund der mit einer Insolvenzantragstellung verbundenen Kollateralschäden – z.B. Lieferanten stellen auf Vorkasse um – realistisch ist, bleibt abzuwarten.

3. Regelungen gelten unabhängig von konkreter Krisenbetroffenheit

Als Grundlage für die Neuregelung dient das im Zuge der Corona-Krise verabschiedete COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG). Da das Gesetz künftig nicht mehr ausschließlich Bestimmungen zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie enthält, wird es in SanInsKG umbenannt und um einige neue Regelungen ergänzt:

Anders als das COVInsAG ist der Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SanInsKG nicht an eine entsprechende Voraussetzung gebunden (wie beispielsweise ein Kausalitätserfordernis, das die Prognoseunsicherheiten an die Entwicklungen an den Energiemärkten koppelt). Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass nahezu alle Wirtschaftsteilnehmer zumindest mittelbar von den derzeitigen Verhältnissen betroffen seien und sich ein Kausalitätserfordernis daher nur schwerlich festlegen ließe.

4. Die Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung wird erhöht

Gemäß dem neu eingefügten § 4a SanInsKG wird die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung von derzeit sechs auf acht Wochen hochgesetzt.

Nachdem die Antragsfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen eingetretener Überschuldung im Zuge des SanInsFoG bereits von drei auf sechs Wochen verlängert wurde, soll durch diese Regelung weiterer zeitlicher Spielraum geschaffen werden.

Natürlich ändert die Neuregelung nichts daran, dass Insolvenzanträge weiterhin ohne schuldhaftes Zögern zu stellen sind (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Wenn zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass eine nachhaltige Beseitigung der Überschuldung nicht erwartet werden kann, darf die Höchstfrist nicht ausgeschöpft werden.

Die Höchstfrist zur Antragstellung wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt unberührt.

3. Neuregelung im Insolvenzrecht gilt bis Ende 2023

Die oben genannten Neuregelungen gelten bis zum 31. Dezember 2023. Die Gesetzesbegründung weist jedoch darauf hin, dass die Regelungen schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können. Dies soll etwa dann der Fall sein, wenn für ein Unternehmen weniger als vier Monate vor dem Ablauf der Geltungsdauer feststehe, dass es unmittelbar nach dem Ablauf dieser Geltungsdauer unter dem dann wieder maßgeblichen Überschuldungsbegriff des § 19 InsO überschuldet sein wird (siehe hierzu auch unter III.).

Die Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt von der Regelung unberührt.

II. Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen werden verkürzt

Gleichermaßen wird auch der zeitliche Horizont eines Finanzplans zur Erreichung einer Eigenverwaltung nach § 270a Abs. 1 Nr. 1 InsO (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SanInsKG) oder zur Beantragung einer Stabilisierungsanordnung nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SanInsKG) jeweils von sechs auf vier Monate verkürzt.

III. Praxishinweise zum Insolvenzrecht 2022

Die erhebliche Verkürzung des Prognosezeitraums von zwölf auf nunmehr lediglich vier Monate in Kombination mit der verlängerten Antragshöchstfrist entschärft den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung.

Für Geschäftsleiter ersetzt die Verkürzung des Prognosezeitraums jedoch keinesfalls die intensive Auseinandersetzung mit der mittel- bis langfristigen Unternehmensplanung. Diese sollte auch weiterhin deutlich über den vier Monatszeitraum hinaus aufgestellt werden, fortwährend auf ihre Plausibilität hin geprüft und bei Änderungen der Umstände angepasst werden. Denn vermehrt sehen sich Geschäftsleiter direkten Inanspruchnahmen von Gläubigern wegen Eingehungsbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB ausgesetzt.

Beispiel: Nach der neuen Regelung bestehen Risiken, wenn Waren bestellt oder ein Kredit aufgenommen wird und dabei billigend in Kauf genommen wird, dass die in vier Monaten + X hieraus erwachsenden fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können.

In Bezug auf das geplante Auslaufen der Regelungen bleibt ein Fragezeichen: Der Gesetzeswortlaut spricht zwar dafür, dass theoretisch bis zum 31. Dezember 2023, 23:59 Uhr ein Prognosezeitraum von vier Monaten ausreichend ist. Die diesbezügliche – etwas kryptische – amtliche Begründung (siehe unter I.3.) könnte aber darauf hindeuten, dass der verkürzte Prognosezeitraum praktisch nur bis Anfang September 2023 gelten soll. Mithin ist aufgrund der vermeintlichen Intention des Gesetzgebers nach aktuellem Stand erhöhte Vorsicht geboten, desto näher der 31. Dezember 2023 rückt.

Dr. Daniel Schmitz berät national und international tätige Unternehmen im Bereich Insolvenzrecht und Restrukturierung. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Sanierungsberatung und insolvenznahe Prozessführung.

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Dr. Jakob Bünemann ist Rechtsanwalt am Kölner Standort von GÖRG. Er berät national und international tätige Unternehmen in sämtlichen Bereichen des Insolvenzrechts, der Restrukturierung und des krisennahen Gesellschaftsrechts.

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